Hintergrund

Anmerkungen der Regie

Der Anstoss zu diesem Film kam von einer sechzigjährigen Frau aus Dietikon. Ihr Vater sei ein katholischer Priester, erzählte sie, er habe einige Kinder in die Welt gesetzt und die Mütter allein zurückgelassen; die Kirche habe alles gewusst und tatenlos zugeschaut. „Das ist doch ein Filmthema“, sagte sie. Na ja, meinte ich zurückhaltend, über die Sexualmoral der katholischen Kirche ist in den Medien schon viel berichtet worden. Und von Religion verstehe ich nichts.

Doch irgendetwas machte mich neugierig. Wir verabredeten uns im Zürcher Bahnhofbuffet, die Frau aus Dietikon brachte ihre Geschwister mit. Sie erzählten alle ihre Geschichten, wie ihre Mütter verführt wurden. Ich schaute in die sechs Gesichter und ich spürte, dass dieses Projekt eine Gelegenheit war, unter die Oberfläche des Schweizer Alltags zu blicken. Hinter den Schein, hinter die Doppelmoral. Roter Faden der Filmgeschichte würde der Priester-Casanova sein, die vier Mütter, die sechs Kinder und ihre Verflechtungen. Doch was mich vor allem reizte, war die einmalige Möglichkeit, Menschen vor der Kamera zu haben, die bereit waren, über Themen zu reden, die man eher meidet. Über Familienangelegenheiten, über Scham und Verletzungen. Mir wurde klar, dass ich den Film machen will.

So begann im Zürcher Bahnhofbuffet eine Zeitreise, die mich hinaustrug in die Dörfer, in die Schweiz der 50er und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts, der Generation unserer Eltern und Grosseltern. Ich habe eine Welt entdeckt, die ich nicht kannte, die Welt der Familiengeheimnisse, des Schweigens. Entstanden ist ein intimer, persönlicher Film. Die Protagonistinnen und Protagonisten haben mir vertraut. Es war, als hätten sich bei der Dreharbeit Wunden aufgetan, als sei ein Riss durch die Sprachlosigkeit gegangen. Das Thema der Kirche, des Zölibats, der Sexualmoral jener Zeit schwingt mit. Aber darüber hinaus transportiert der Film das Klima einer Gesellschaft, die bereits Geschichte ist – aber nur auf den ersten Blick. Denn sie lebt weiter, abgelagert in den Genen, in der Mentalität unseres Landes.

Die Kinder

Adrian

Adrian Meier, 55, der Jüngste. Wuchs mit seiner Schwester Daniela im Prättigau auf, ihre Mutter hat die beiden allein grossgezogen. Adi hat eine Praxis für Physiotherapie in Spreitenbach, Golfspieler und Golfspielerinnen kommen zu ihm. Seine Frau Pat hat er vor Jahren in Thailand kennen gelernt, sie haben keine Kinder, aber eine Siamkatze. Pat ist auch Physiotherapeutin. Beide spielen leidenschaftlich Golf, sie schlägt ihn.

Daniela

Daniela Mühlematter, 58, die Schwester von Adrian. Sie ist als Köchin aus dem Prättigau an den Thu- nersee ausgewandert. Sie hat zwei erwachsene Töchter. Daniela kocht in einem Altersheim und führt ein Ferienparadies für Hunde ausserhalb von Thun. Dort lebt sie mit ihrem tschechoslowakischen Wolfshund.

Monika

Monika Gisler, 64, war ihr Leben lang Lehrerin in der Innerschweiz. Seit diesem Sommer ist sie pensioniert. Jetzt macht sie den Garten auf dem Bauernhof ihres Freundes, oder die beiden segeln auf ihrem Boot in den südasiatischen Gewässern. Monika hat zwei Töchter und zwei Enkel. Sie wohnt in Zug.

Toni

Toni Meier, 70, wohnt in der malerischen Altstadt von Eglisau. Im Haus leben auch seine Exfrau und seine Adoptivtochter. Er hat ein kleines Bauge- schäft und ist immer an der Arbeit, er besitzt meh- rere Häuser im Städtchen, wo er sein ganzes Leben verbracht hat. Er streitet gern mit dem Gemeinderat, und wenn es ihn packt, kurvt er mit seinem schweren Motorrad durch die Schweiz.

Christina

Christina Meier, 71, erfüllte sich vor rund zwanzig Jahren einen Traum und kaufte ein Pferdegestüt, wo sie mit sozial benachteiligten Jugendlichen ge- arbeitet hat. Nach ihrer Pensionierung zog sie mit ein paar älteren Pferden nach Italien in die hinters- te Toskana, seit einem Jahr wohnt sie wieder in der Schweiz, im Emmental. Sie hat zwei Töchter, eine lebt in Irland, und fünf Enkel.

Lisbeth

Lisbeth Binder, 72, wohnt mit ihrem Mann Walti in Dietikon, wo beide aufgewachsen sind. Sie haben zwei Kinder und drei Enkel. Lisbeth ist sozial engagiert, sie hat in der katholischen Arbeiterinnenbewegung gearbeitet und war Präsidentin der katholischen Kirchgemeinde. Ihr Ferienhaus im Wallis haben Lisbeth und Walti aufgegeben, jetzt fahren sie mit ihrem Wohnmobil durch Europa.